Der Fußball-Hype in Russland bekommt einen Dämpfer

WM 2018: Russland startet mit Kantersieg - 5:0 gegen Saudi-Arabien
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Durch den WM-Auftakt wurde in Russland ein irrwitziger Hype ausgelöst – und Fragen der Dopingjäger. Nun herrscht nach dem 0:3 gegen Uruguay Ernüchterung. Einer jubelt trotzdem. Russlands Kulttrainer.

Die Spiele gegen Saudi-Arabien und Ägypten gewann Russland mit 5:0 und 3:1. Dann kam Uruguay.

Ein ernüchterndes Spiel. Ein Abend, an welchem sich das Team nach Tagen des größenwahnsinnigen Hypes selbst entzauberte. 0:3 verlor die Mannschaft. Noch schlimmer als die Niederlage ist aber die Art und Weise derselben: keine Chance, 55 Minuten in Unterzahl, spielerisch vorgeführt durch Uruguays Offensive um Cavani und Suárez.

„Selbst zu zehnt haben wir noch angegriffen“

Einer musste ja versuchen, die Euphorie noch zu beleben. Tschertschessow gab sich große Mühe. „Selbst zu zehnt haben wir noch angegriffen“, sagte der 54-Jährige nach dem Spiel, „wir hatten Chancen.“ Der Schüsschen konnte sein Team im ganzen Spiel aufs Tor abgeben, aber das verschwieg er lieber.

Bei der Pressekonferenz gab es erst nach einer Aufforderung Applaus für den Trainer. Für ehrlichen Beifall ließ der Abend in Samara keinen Platz. Denn er zeigte, wie sehr die russische Mannschaft der Weltspitze hinterherhängt. Die Spielweise: berechenbar und limitiert, schleppendes Aufbauspiel und viele hohe Bälle. Physisch starke Defensive, aber zu langsam und zu wenig organisiert. Träge und einfallslose Offensive mit nur einem Schlüsselspieler.

Kurz gesagt: Die russische Nationalmannschaft steht nicht grundlos auf Platz 70 der Weltrangliste, nur ein paar Plätze hinter Mali und Kap Verde. Diese Erkenntnis war sowohl für Funktionäre als auch Fans sehr bitter.

Begrenzte WM-Euphorie

Vor der Meisterschaft gaben nur 4 Prozent der Befragten an, dem russischen Team den Titel zuzutrauen. Diese Zahl war nach den Siegen gegen Saudi-Arabien und Ägypten auf 40 Prozent gestiegen. Vor allem in WM-Spielorten traf man auf Begeisterung: Russland-Flaggen und Fanfeste an jeder Ecke.

Sportreporter Karpovich sagt, der Funke sei anfangs vom Feld auf die Fans übergesprungen. Gegen Ägypten sah man seit 10 Jahren wieder Feuer in den Nationalspielern.“ Das lässt sich auch statistisch untermauern. Russlands Spieler rannten in den ersten beiden Spielen wesentlich mehr als Profis anderer Teams. 118 Kilometer gegen Saudi-Arabien, 115 Kilometer gegen Ägypten.

Dopingexperten sind alarmiert

Diese erstaunliche Leistung bringt auch Dopingexperten auf den Plan. Sie vermuteten eine Verbindung zum russischen Dopingprogramm, das zur Manipulation der Olympischen Spiele in Sotschi erschaffen worden war.

Als man den Trainer mit der ungewöhnlichen Laufdistanz des Teams konfrontierte, reagierte er unwirsch. „Bezieht sich diese Frage auf das Spiel oder ist sie Philosophie?“, entgegnete der Coach dem Fragesteller. Er sei ein Trainer und kein Arzt. Für ihn wäre es normal, dass die Mannschaft des Gastgebers durch die Motivation im eigenen Land stärker sei, erklärte er.

Interviews mit ihm laufen immer gleich ab: Er gibt vor, worüber geredet werden darf. Er bestimmt, ob er den Komiker oder Kritiker gibt. Mal erzählt der 54-Jährige über Machos in Russland, mal über sein glitzerbedecktes Jackett. Wie oft er bei dieser WM noch die Gelegenheit dazu bekommt, wird man sehen. „Sobald die Meisterschaft vorbei ist, vergisst man in Russland den Fußball und schaut stattdessen wieder Sitcoms“, äußerte sich Sportreporter Karpovich. Als Gruppenzweiter wird Russland im Achtelfinale auf Spanien treffen.