
Die Euphorie nach den beiden Erfolgsjahren ist in Leverkusen längst verflogen. Trotz Sonnenschein, Fanfest und guter Stimmung bei der Saisoneröffnung liegen düstere Schatten über dem Bundesliga-Vizemeister. Die Spielerflucht nimmt beunruhigende Ausmaße an. Der neue Coach Erik ten Hag steht bereits unter Druck, noch bevor der erste Pflichtspielball überhaupt gerollt ist.
Die einstige Titel-Mannschaft der Werkself zerfällt Stück für Stück. Florian Wirtz, Jeremie Frimpong, Jonathan Tah, Granit Xhaka – sie alle haben den Klub verlassen. Auch Coach Xabi Alonso ist Geschichte, er folgte dem Ruf von Real Madrid. Der nächste prominente Abgang bahnt sich bereits an: Kapitän und Torwart Lukas Hradecky steht vor einem Wechsel zur AS Monaco.
Die Struktur und Identität der Mannschaft, die Leverkusen im Vorjahr zum Double geführt hatte, ist kaum noch zu erkennen. „Es ist noch zu früh, um vom Angriff auf Bayern zu reden“, äußerte Mittelfeldmotor Robert Andrich vorsichtig. Viel mehr gehe es darum, die neue Mannschaft überhaupt erst zu formen.
Erik ten Hag schlägt Alarm
Erik ten Hag, gerade erst als Nachfolger von Xabi Alonso vorgestellt, hat sich den Start sicher anders vorgestellt. Noch vor dem überzeugenden 3:0 im Test gegen den SC Pisa forderte der Niederländer „vier bis fünf neue Spieler“, um überhaupt in die Nähe des Saisonziels – Platz unter den Top Vier – zu kommen.
Sein Appell war deutlich: „Wir brauchen mehr Qualität. Es reicht nicht, einfach nur Spieler zu holen. Sie müssen unsere Ansprüche erfüllen.“ Besonders der Verlust von Führungsspieler Granit Xhaka wiegt schwer. Ten Hag wollte den Schweizer unbedingt halten. „Er war ein zentraler Pfeiler – sportlich wie mental“, betonte der Trainer während der Asienreise.
Xhakas Abschied als Wendepunkt
Doch genau dieser Wunsch blieb unerfüllt. Xhaka wechselte für rund 20 Millionen Euro zum Premier-League-Aufsteiger AFC Sunderland – ein sportlich überraschender Schritt. Der Routinier, der in Leverkusen noch bis 2028 unter Vertrag stand, entschied sich für das Abenteuer England und gegen die Champions League mit Bayer.
Für ten Hag ein Rückschlag. Schon im Vorfeld hatte er gewarnt, dass ein Xhaka-Abgang die „Kultur und Struktur der Mannschaft stark beschädigen“ würde. Dass Sportchef Simon Rolfes dennoch grünes Licht für den Wechsel gab, dürfte intern für Spannungen sorgen. Es war das endgültige Ende der Double-Achse.
Rolfes verspricht Balance – doch Zeit wird knapp
Rolfes steht nun vor einer Herkulesaufgabe. Zwar spülten die zahlreichen Transfers mehr als 200 Millionen Euro in die Kassen, doch die sportliche Substanz leidet. Bisher verpflichtete Bayer vor allem Talente mit Perspektive wie Malik Tillman, Jarell Quansah oder Ibrahim Maza – Spieler mit Potenzial, aber ohne Bundesliga-Erfahrung.
„Es ist wichtig, junges Blut in den Kader zu bringen“, sagte Rolfes, schränkte aber ein: „Das heißt nicht, dass wir nur junge Spieler holen. Es braucht eine gesunde Balance.“ Namen wie Malick Thiaw (AC Mailand), James McAtee (Manchester City) oder Maghnes Akliouche (AS Monaco) stehen auf der Wunschliste – doch konkrete Fortschritte gibt es bisher kaum.
Neue Hierarchie gesucht
Eines ist sicher: Leverkusen steht am Beginn eines Umbruchs. Die Führungsrollen sind vakant, eine neue Hierarchie muss erst entstehen. Robert Andrich könnte dabei zum neuen Kapitän aufsteigen. „Wir müssen nach vorn schauen und dürfen den Abgängen nicht ewig nachtrauern“, sagte der 30-Jährige – wohlwissend, dass die Lücke gewaltig ist.
Ten Hag wird mehr brauchen als Durchhalteparolen. Er braucht Spieler, die nicht nur Talent, sondern auch Führungsqualitäten mitbringen. Die Kaderqualität reicht aktuell kaum aus, um sich im oberen Tabellendrittel festzusetzen.
Droht Bayer Leverkusen der Absturz?
Nach der überragenden Saison 2023/24 und der Vizemeisterschaft im Vorjahr wirkt Leverkusen plötzlich wieder angreifbar. Die Mannschaft ist nicht mehr das eingespielte Kollektiv, das Bayern München ins Wanken brachte. Statt Meisterträumen heißt es nun: Neuaufbau mit ungewissem Ausgang. Wenn die versprochenen Verstärkungen nicht bald folgen, könnte der Vizemeister der Vorsaison schon bald im grauen Mittelfeld verschwinden.
Ten Hag formulierte es diplomatisch: „Ich vertraue darauf, dass der Verein die richtigen Spieler bringt.“ Doch zwischen Vertrauen und Realität liegt ein Transferfenster, das allmählich zu schließen droht. Die Uhr tickt – und mit ihr wächst der Druck auf Leverkusen.