
Hans-Joachim Watzke hat es tatsächlich geschafft: Der langjährige Borussia-Dortmund-Geschäftsführer ist zum neuen Präsidenten des Vereins gewählt worden – allerdings mit einem Ergebnis, das näher an einer Demütigung als an einer Krönung liegt. Nur etwas über 59 Prozent der Stimmen entfielen auf den mächtigsten Funktionär im deutschen Fußball. Für jemanden, der im Vorfeld erklärt hatte, ein Resultat unter 70 Prozent sei kaum hinnehmbar, glich es einem politischen Überlebenskampf.
Als er auf das Podium trat, begleitet von einer Mischung aus Pfiffen, Buhrufen und vereinzeltem Applaus, wirkte Watzke angeschlagen. „Ich danke allen, die mir Vertrauen geschenkt haben – und akzeptiere ebenso die Stimmen derer, die anders entschieden haben“, erklärte er sinngemäß. Worte, die klingen sollten wie Größe, aber den Moment kaum glätten konnten. Der Traumjob begann mit einem Kaltstart.
Hybride Wahl – und ein ernüchterndes Stimmungsbild
Erstmals fand die Abstimmung in einem hybriden Format statt. Insgesamt 2515 Mitglieder votierten für Watzke, 1729 dagegen, 232 enthielten sich. Besonders bitter: In der Halle selbst fiel die Mehrheit gegen ihn aus. Nur online konnte er das Ergebnis drehen.
Die Wahl der weiteren Präsidiumsmitglieder zeigte ein ähnliches Misstrauen. Dortmunds Satzung erlaubt lediglich Ein-Personen-Vorschläge pro Amt – ein Verfahren, das viele Mitglieder inzwischen als intransparent empfinden.
Und selbst das technische Chaos tat sein Übriges. Eine Stunde verspäteter Start, verschobene Tagesordnungspunkte und minutenlange Pausen zwischen den Abstimmungen ließen die Versammlung zäh wie Kaugummi wirken. Begleitet wurde das Ganze von ausgerechnet „Walk of Life“ und „Friday I’m in Love“ – eine fast skurrile Untermalung der Gereiztheit im Saal.
Rickens peinliche Rede als Wendepunkt
Ein entscheidender Moment des Tages war die Rede von Sport-Geschäftsführer Lars Ricken. Eigentlich sollte er über sportliche Themen sprechen – stattdessen lieferte er eine kaum kaschierte Werbung für Watzke. Bei den Mitgliedern kam das gar nicht gut an.
Als Ricken begann, die 16 Siegen des BVB gegen Bayern während Watzkes Zeit als Geschäftsführer als besonderen Verdienst zu feiern, griff sich so mancher im Saal an den Kopf.
Seine Formulierung, Watzke sei „20 Jahre lang derjenige gewesen, der hier die Richtung vorgegeben hat“, klang eher wie eine Huldigung als wie ein sachlicher Rückblick. Und als Ricken zusätzlich hoffte, „dass die haltlosen Anschuldigungen nun endlich verstummen“, kippte die Stimmung endgültig.
Ein Verein im Dauerclinch
Diese Versammlung war der Endpunkt eines monatelangen Machtkampfes, der den Klub in verschiedene Lager gespalten hatte. Noch-Präsident Reinhold Lunow und Watzke hatten in der Öffentlichkeit Einigkeit demonstriert – doch niemand glaubte an Harmonie. Zu tief waren die Gräben, zu persönlich die Angriffe.
Vorwürfe, Indiskretionen, interne Kampagnen: Ein Sommer voller gegenseitiger Beschuldigungen hatte den Verein zermürbt. Tobias Westerfellhaus, Vorsitzender der Fanabteilung, brachte es auf den Punkt, als er von „fragwürdigen Vorgehensweisen und öffentlicher Verunglimpfung“ sprach.
Der Ausgangspunkt vieler Konflikte lag in der Mitgliederversammlung 2024 und dem Streit um den geplanten Sponsoring-Deal mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall. Die Mitglieder lehnten ab, Watzke reagierte gereizt – und ein Riss ging durch den Verein. Hinzu kam ein Missbrauchsskandal aus den 1990er-Jahren, dessen mangelhafte Aufklärung den BVB schwer belastet und der auch in dieser Versammlung eine Rolle spielte. „Im Mittelpunkt stehen die Betroffenen – nicht der Schutz des Vereins“, mahnte Westerfellhaus.
Erfolge, die nicht mehr tragen
Bei allem Ärger: Niemand bestreitet Watzkes Verdienste. Er führte den Verein aus der finanziellen Bedrohung 2005 zurück in die nationale Spitze. Umsätze und Gewinne stiegen über Jahre, sportlich etablierte sich Dortmund in der Champions League.
Doch das Narrativ des Aufstiegs ist verbraucht. Das Gefühl, an einer gläsernen Decke zu stehen, hat die Fans zuletzt zunehmend frustriert: ein Champions-League-Finale, aber ohne Happy End; ein verpasstes Meisterwunder 2023; und die stete Bayern-Dominanz, an der auch Watzke litt.
Der Auftrag eines Präsidenten
Dass Watzke die Wahl annimmt, rettet kurzfristig Stabilität – aber die Aufgabe, die nun vor ihm liegt, ist gigantisch. Ein Mitglied brachte beim Hinausgehen die Frage auf, die über allem hängt: „Was wäre gewesen, wenn er nicht gewählt worden wäre?“ Niemand hatte eine klare Antwort.
Doch gewählt oder nicht: Watzke muss die Scherben eines Vereins zusammenkehren, der müde ist von Konflikten und degradiert von monatelanger Spaltung. Er muss den Klub einen – und das ausgerechnet als Teil des Systems, das ihn zuvor entzweit hat.
Für einen Mann, der den BVB schon einmal aus dem Abgrund geführt hat, klingt es wie ein Déjà-vu. Nur ist die Herausforderung dieses Mal nicht finanzieller Natur. Dieses Mal geht es um Vertrauen. Und um die Zukunft eines Vereins, der dringend wieder zur Ruhe kommen muss.

