
Die englische Nationalmannschaft hat am vergangenen Sonntag ein Kapitel Fußballgeschichte geschrieben: Acht Spiele, acht Siege, kein einziges Gegentor – eine perfekte Qualifikation, wie sie in Europa zuvor noch keinem Team gelungen war. Doch statt Jubel über die makellose Bilanz dominierte ein anderes Thema die Schlagzeilen: Jude Bellinghams Auftritt beim 2:0 in Albanien, genauer gesagt sein wütender Abgang nach seiner Auswechslung.
Der 22-Jährige verließ in der 84. Minute sichtlich missmutig den Platz, gestikulierte heftig und machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die Entscheidung von Trainer Thomas Tuchel erzürnte. In England entfachte diese Szene eine Debatte, die längst über ein einzelnes Spiel hinausreicht – und plötzlich wirkt sogar die WM-Teilnahme des Real-Madrid-Stars nicht mehr selbstverständlich.
Gereiztes Verhältnis: Bellingham vs. Tuchel
Die ohnehin belastete Verbindung zwischen Tuchel und Bellingham erhielt in Tirana ein neues Reibungsthema. Medien und Fans stürzten sich in ungewohnter Einigkeit auf den Mittelfeldspieler. TNT-Experte Pete Sharland zeigte sich überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass die Reaktionen so drastisch ausfallen würden. Aber viele sehen Bellingham in diesem Konflikt klar als Schuldigen“, erklärte er.
Vor allem die „Daily Mail“ begegnete Bellingham mit ungewohnt scharfer Wortwahl und unterstellte ihm erneut ein überzogenes Ego und mangelnde Selbstbeherrschung. Auch Tuchel kritisierte seinen Schützling offen. Die Bilder, so der Coach, seien „nicht das, wofür wir als Team stehen wollen“. Ihm gehe es um Geschlossenheit, betonte er, und nicht um Einzelinteressen.
Der Trainer setzt Grenzen
Tuchel machte deutlich, dass Rang und Name auf dem Platz keine Sonderbehandlung rechtfertigen. „Entscheidungen gehören nun einmal zum Trainerjob – und sie gelten für jeden Spieler gleichermaßen“, sagte er und verwies auf die Grundprinzipien der Nationalmannschaft: Standards, Respekt und Verlässlichkeit.
Schon im Sommer hatte der frühere Bayern-Coach darauf hingewiesen, dass Emotionen zwar Teil des Spiels seien, aber kanalisiert werden müssten. Übertriebene Aggressivität, so Tuchel, schade der Mannschaft eher, als dass sie helfe. Sharland ordnet ein, Bellingham habe bereits in Dortmund nicht überall Freunde gehabt – und ähnliche Muster würden sich nun wieder zeigen.
WM-Startplatz plötzlich wackelig
Die Diskussion erhält zusätzliche Schärfe, weil Bellingham aktuell nach einer Verletzung ohnehin nicht auf dem Platz steht. „Im Moment ist er Zuschauer – und das allein macht seinen WM-Platz alles andere als sicher“, meint Sharland. Tuchel sei nicht der Typ Trainer, der große Namen aus Prinzip nominiert. Harmonie im Team könne im Zweifel mehr zählen als individuelle Klasse.
Das hat der 52-Jährige bereits bewiesen: Seine Nichtnominierung Bellinghams im Oktober löste zwar Verwunderung aus, doch die klaren Siege gegen Wales und Lettland bestätigten ihn.
Englands Zehner-Position – härter umkämpft denn je
Hinzu kommt die sportliche Konkurrenz. Tuchel bevorzugt ein 4-3-3-System und besetzt die zentrale offensive Rolle nur mit Spielern, die taktisch perfekt ins Gefüge passen. Neben Phil Foden buhlen auch Cole Palmer, Eberechi Eze, Morgan Rogers und Morgan Gibbs-White um die Position. „Wir können nicht jeden mitnehmen – selbst wenn er individuell stark ist. Das Team steht über allem“, betonte Tuchel.
Für Bellingham bedeutet das: Selbst ein Marktwert von 180 Millionen Euro schützt nicht vor einem Platz auf der Bank – oder gar vor dem WM-Aus. Es ist ein klares Signal an die gesamte Mannschaft: Klasse allein genügt nicht. Charakter zählt ebenso.

